SpendeKnigge

Der zehnjährige Fenrir lebt in der Therapeutischen Wohngruppe Naundorf – mit vielen Stufen im Haus, obwohl er körperlich behindert ist. Das klappt, weil er selbst vieles schaffen will und weil die Erzieher:innen ihn so gut unterstützen.

Meinen Rolli kann man nicht besiegen

Was macht dich besonders / anders als andere?

Ich bin körperlich behindert und kann nicht so gut laufen. Deshalb brauche ich einen Rollstuhl. Aber weißt du was: Zu Hause kann ich sogar Fahrrad fahren, da habe ich nämlich ein Therapiefahrrad, das hat drei Räder. Ich bin mit zwei Geschwistern hier in der Wohngruppe, und ich bin der Jüngste. Dabei bin ich schon in der dritten Klasse, und in Mathe bin ich sogar Klassenbester.

Was ist gut daran, anders zu sein?

Ich finde es toll, dass ich so schnell mit meinem Rolli fahren kann, schneller als fast alle anderen! Einmal haben wir ein Rennen gemacht, da war ich sogar berghoch schneller als die Betreuerin! Oder einmal war in meiner Schule ein Spendenlauf, da habe ich mit dem Rolli 14 Runden geschafft – mehr als alle anderen. Meinen Rolli kann man nicht besiegen.

Was daran nervt dich und ist belastend?

Meine Geschwister können laufen, ich nicht, das ist unglaublich! Ich muss Orthesen tragen, aber die jucken und sie quietschen auch, wenn ich damit laufe. In der Schule soll ich den Rollator nehmen, aber den hasse ich, weil ich den ziehen muss. Ich stoße beim Laufen immer ans Körbchen und einmal bin ich sogar mit dem Rollator hingefallen. Aber zum Glück habe ich eine Freundin in der Schule. Soll ich dir mal verraten, wie die heißt? Das ist die Mia, die fährt auch im Rollstuhl. Ich gehe gern in die Schule, weil dort meine Freundin ist. Wenn sie eher abgeholt wird als ich, dann ist das ein doofer Tag.

Mit welchen Hindernissen bist du konfrontiert?

Wenn ich mit dem Rollstuhl über Kanten auf den Fußweg fahren muss, das ist so schwer, da komme ich nicht hoch. Ich bin auch schon mit dem Rolli umgekippt und dann komme ich alleine nicht mehr hoch.

Welche Unterstützung hast du in der Wohngruppe?

Die Erzieherinnen und Erzieher sind sehr lieb und helfen mir immer, wenn ich etwas nicht alleine kann. Jeder hilft mir hier, aber soll ich dir mal was verraten: Ich habe auch eine Lieblingserzieherin, ich flüstere dir mal den Namen ins Ohr.

Was möchtest du gern noch lernen und eines Tages schaffen?

Ich würde am liebsten Saltos auf dem Trampolin können und Flick Flack und Radschlagen. Und ich würde gern auf dem Trampolin im Stehen springen. Ich kann es nur auf den Knien, aber das macht auch Spaß und man kann auch ziemlich hoch springen.

Wünschst du dir, dass sich etwas ändert?

Ich wünsche mir, dass mir nicht nur die Erwachsenen, sondern auch die Kinder helfen, wenn ich etwas nicht schaffe, zum Beispiel irgendwo nicht rankomme oder so. Und ich würde gern in eine normale Schule gehen und nicht in eine für Körperbehinderte, weil ich dann vielleicht mehr Freunde finden würde als in der jetzigen Schule.
Mein Traum ist, dass ich selbst in einen Lkw einsteigen kann, denn mein Traumberuf ist Abschlepp­wagenfahrer. Oder Polizist, das wäre auch krass: Verbrecher zu jagen, mit Sirene rumzufahren und alle müssten Platz machen.

Interview mit dem Bezugserzieher Christian Drewes:

Was begeistert dich in der Arbeit mit Fenrir?

Es ist für uns alle natürlich etwas komplett Neues gewesen und eine große Herausforderung, ein Kind mit körperlichen Einschränkungen zu betreuen, aber es freut uns sehr zu sehen, wie Fenrir sich entwickelt hat in dem knappen Jahr, das er jetzt bei uns ist. Er hat wahnsinnige Fortschritte mit der Mobilität und der Selbständigkeit gemacht. Da ist es uns als pädagogische Fachkräfte gut gelungen, ihn zu motivieren, das auch zu machen, was er kann. Zum Beispiel hat er sich teilweise noch tragen lassen, da er auf viele Dinge einfach keine Lust hatte, als er zu uns kam. Jetzt versucht er, viele Wege selbst zu laufen, auch die Treppen im Haus. Da müssen wir ihn manchmal schon bremsen, damit es nicht zu viel für ihn wird. Er ist ein sehr aufgeschlossener Typ und sehr gut in der Schule – sein letztes Zeugnis war eine wahre Freude für mich.

Wo siehst du einen Zugewinn für die Wohngruppe?

Es entsteht Rücksicht aufeinander, und ich muss sagen, da haben sich unsere Kinder ganz groß gezeigt, darauf können wir richtig stolz sein. Wir können jetzt natürlich nicht mehr alles machen, spontane Spaziergänge zum Beispiel, weil sein Rolli in der Woche in der Schule bleibt, aber darauf haben sich alle eingestellt. Fenrir nimmt viel Aufmerksamkeit und Zeit ein, das ist tatsächlich eine Herausforderung, aber ich glaube trotzdem, dass es der richtige Weg ist, auch Kinder mit körperlichen Einschränkungen in einer „normalen“ Wohngruppe zu integrieren, wo sie einfach „mitlaufen“.

Was bedeutet dir die Arbeit mit Fenrir persönlich?

Da gibt es keinen großen Unterschied zu den anderen Kindern, muss ich sagen. Er hat seine Bedarfe genau wie jedes Kind, und da macht seine Behinderung keinen großen Unterschied. Jeder Mensch ist individuell, und seine Behinderung steht dabei nicht immer im Vordergrund.

Gibt es Grenzen in der Arbeit mit Fenrir, wenn ja, welche sind das?

Teilweise ist das der Pflegebedarf, den wir als pädagogische Fachkräfte nicht übernehmen dürfen. Deshalb kommt der Pflegedienst, früh und mittags in die Schule und abends zu uns. Die räumlichen Gegebenheiten sind okay, denn Fenrir kann die paar Stufen ins Erdgeschoss gut selbst bewältigen. Er kann überall teilnehmen, kommt ins Wohnzimmer und in die Küche, auch in den Therapieraum unterm Dach, wenn er will. Wir haben in unserer Wohngruppe zwei Kollegen mit einer heilpädagogischen Zusatzqualifikation und sind immer in engem Austausch mit den Ärzten, Ergo- und Physiotherapeuten, so dass ich sagen würde, dass eine Betreuung mit dem entsprechenden Personalschlüssel gut möglich ist.

Welche Rahmenbedingungen würden deiner Meinung nach die Entwicklung von Fenrir noch besser begünstigen?

Was für ihn gut wäre: viel Zeit und Raum in der Gruppe haben, lernen sich unterzuordnen, einfach dabei sein und mitlaufen, nicht immer im Fokus sein. Das bräuchte er noch viel mehr, um sich gut zu entwickeln und seine sozialen Kompetenzen zu stärken.


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