SpendeKnigge

Alle News auf einen Blick

Barbara Stahl (10 Jahre)

Eis essen ist erlaubt, aber nur mit Abstand! Das Bild zeigt außerdem, was uns in der aktuellen Situation hilft: Humor!

Durchhalten in der Ausnahmesituation

Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation! Ist Ihnen das in Ihrem Ringen um einen Weg durch die Anstrengungen der letzten zwei Monate schon bewusst geworden? Sie dürfen es getrost zur Kenntnis nehmen und sich für jeden geschafften Tag eine Kugel Eis bei der nun wieder geöffneten Eisdiele gönnen.

Vor zwei Monaten kam diese Ausnahmesituation von heute auf morgen über uns. Der ganze mühselig zusammen erarbeitete Familienablauf wurde damit auch über den Haufen geworfen. Zum Schutz vor Infektion durften die Kinder nicht mehr zur Schule oder in den Kindergarten, sämtliche Hobbys und zivilgesellschaftliches oder kirchgemeindliches Engagement wurden abgesagt, Hilfe der Großeltern fiel aus und so waren Familien mit allen Kindern und der eigenen Arbeit, die irgendwie mit erledigt werden musste, plötzlich ganz auf sich gestellt. Niemand hatte eine solche Situation jemals erlebt oder konnte auf bewährte Konzepte zurückgreifen. Jede Familie musste ihren eigenen Weg finden, mit der Situation umzugehen. Manche meiner Freundinnen und Kolleginnen freuten sich auf mehr Familienzeit. Mir standen die Haare zu Berge! Es hatte uns kalt erwischt!

Schnell wurde mir klar, dass das eine immense Herausforderung für uns werden würde! Mein Bauchgefühl verriet mir, dass Prinzipien jetzt nicht das Wichtigste waren, vor allem bei den Kindern. Sie waren wie wir Erwachsenen völlig aus der Bahn geworfen! Wozu das Kind zum Putzen trimmen, wenn es doch in all der Not eine Kuscheleinheit mehr braucht, oder zwei? Wozu auf feste Zeiten pochen, wenn das zu noch mehr Unmut führt? Wozu darauf bestehen, dass nur freitags Filmabend ist, wenn man doch weder zum Konzert noch ins Schwimmbad noch ins Kino kann? Ein Schokocookie mehr für die gute Laune? Warum nicht.

Doch bald schon befürchtete ich ein familiäres Chaos und entwarf eine Tagesstruktur, damit jede/ jeder weiß, was zu tun ist und für was wann Zeit ist. Strukturierung ist meine Stärke! Eine alte Tafel diente als Familienblackbord. Doch das stieß nicht unbedingt auf Gegenliebe. Überhaupt offenbarte die Ausnahmesituation leider sehr viele im bisherigen vollen Alltag übergangene oder anders kompensierte Konfliktpotentiale und Aggressionen innerhalb unserer Familie, zwischen den Geschwistern, zwischen uns Eltern oder zwischen Eltern und Kindern. Dazu die Unsicherheit und völlige Neuheit der Situation, die Sorgen um kranke, einsame oder von Kurzarbeit bedrohte Familienmitglieder und Freunde, gesellschaftliches Leben, die Wirtschaft, die Welt, die Zukunft…

Die Nerven lagen blank. Niemand von uns hätte sich freiwillig in eine solche Situation begeben, fünf in einer Wohnung, so lange nur wir. Und trotzdem mussten ziemlich plötzlich neue Wege gefunden werden, den Alltag und das Miteinander zu meistern. Und das täglich. Minütlich gab es neue Nachrichten, täglich neue Gefährdungseinschätzungen, zweiwöchentlich neue Verfügungen des Bundes, des Landes, der Kommune und von zwei Arbeitgebern. Toll, wie sollte man da einen Plan entwickeln? Konnte man nicht. Es war zum Heulen. Zum Schreien. Zum Beten.

Und genau da war ich an dem Punkt, wo mir klar wurde, wir mussten uns besinnen, woraus wir Kraft schöpfen, was uns wichtig ist, worauf es ankommt und darauf bauend einen gangbaren Weg finden.

1) Was ist uns wichtig? Was gibt uns Kraft?

Für unsere Familie waren es Tischgebetsrunden für Dank und Anliegen, Andachten im Familienkreis, Kontakthalten mit Großeltern, Geschwisterfamilien, Patenkindern und Freunden und das Schaffen von Tagesstrukturen zur Bewältigung der Schul- und Arbeitsanforderungen sowie das Einrichten von ausreichend Bewegungsmöglichkeiten, um dem Bewegungsdrang nachzukommen und dem Stubenkoller zu begegnen.

2) Was hat für uns die höchste Priorität?

Das Miteinander friedvoll zu gestalten, erhielt bei uns die höchste Priorität. Anders war es nicht auszuhalten und die vielen Aufgaben nicht zu schaffen. Dabei mussten wir ehrlicher zu uns selber sein und zu den anderen Familienmitgliedern, eigene Grenzen erkennen und signalisieren, Rückzugsmöglichkeiten nutzen, Nachsicht zeigen bei – eigentlich nur allzu verständlichen – Wutausbrüchen und baldiger Reue, uns entschuldigen und wieder versöhnen, Kompromisslösungen aushandeln.

3) Was ist, wenn wir es nicht alleine schaffen? Wo brauchen wir Hilfe?

Klappte es an einem Tag nicht so gut, lernten wir, dem nächsten eine neue Chance zu geben. Man muss auch mit sich selber nicht so streng sein in solchen Zeiten! Eine völlig neue Erkenntnis für mich. Eine Überforderung der Eltern zwischen ihren beruflichen Aufgaben und ihren neuen Funktionen als Lehrerin für alle Klassenstufen, Vielseitigkeits-Koch und 24h-Entertainerin war vorauszusehen. In manchen Schwierigkeiten mussten und konnten wir auch Hilfe in Anspruch nehmen, technische Hilfe, Austausch mit Familie, Freunden, Kollegen und den Lehrern und Erziehern unserer Kinder, Notbetreuung für die Kinder und ärztlichen Rat.

4) Wie finden wir Erholung und wie kommen wir auf andere Gedanken?

Das Setzen von Höhepunkten diente der Entspannung und dem Krafttanken, wie eine Wanderung oder eine Fahrradtour zu machen, Filmabende zu fünft, etwas Besonderes kochen oder von den um Existenz bangenden Restaurants abzuholen.

5) Wie kommen wir zu gemeinsam getragenen Entscheidungen?

Der Familienrat bekam ganz neue Dimensionen zur Absprache von Abläufen, im Lösen von Konflikten und bei der Planung von Höhepunkten. Wir erstellten gemeinsam eine Liste mit Dingen, die wir unbedingt machen wollten gerade in dieser Zeit von Ausgangs- und Kontaktsperren und geschlossenen oder abgesagten Freizeitmöglichkeiten.

Was ich euch wünsche 

So langsam, mit jedem überstandenen Tag, keimt Hoffnung in mir, in uns als Familie, mit dieser Strategie durch die Ausnahmesituation zu kommen, täglich neu, vielleicht sogar daraus eine Resilienz zur Bewältigung zukünftiger Schwierigkeiten zu entwickeln. So wünsche ich auch allen anderen Eltern, dass sie zu ihren Stärken und einem Weg in und durch die Ausnahmesituation finden. Auch wenn meine Haare grauer werden, das Jüngste sich zum Pumuckel entwickelt und mein Mann eine erstaunliche Dauerwelle bekommt, gönne ich mir und meinen Kindern nun eine oder zwei Kugeln Eis. Die Eisdiele kann unsere Unterstützung auf jeden Fall gebrauchen!

Anne Maria Stahl, Sprachfachkraft in der „Villa Kunterbunt“ Freiberg

Newsletter

Erhalten Sie regelmäßig Informationen zur Kinderarche Sachsen e.V.